wanderlust = n, [won-der-luhst], a strong innate desire to rove or travel about

21.01.2017

Chilenische Abenteuer: Auf patagonischen Pfaden

Patagonische Stille



Eine lange Reise mit fast 30 Stunden Anfahrt (16 Stunden Flug, dann 5 Stunden Inlandsflug, dann 5 Stunden Busfahrt und 1 Stunde Katamaran) geht dem tatsächlichen Gehen voraus. Anstrengung und Müdigkeit waren mit von Beginn an ins Gesicht geschrieben, aber die Freude über eine fünf-tägige Wandertour durch das chilenische Patagonien, den Torres del Paine Nationalpark, löschte alles an Unstimmigkeit aus meinem Körper. Großen Anteil daran hat auch die hervorragende Planung des gruppeninternen Reiseleiters Marcus, der sich monatelang den Kopf über möglichst effizientes Reisen innerhalb Chiles zerbrochen hat. Mit seiner Planung lag er sehr richtig. Alle Mitreisenden, sieben an der Zahl, genossen diese Sicherheit zu wissen, wann was gemacht wird. Für diesen Wanderweg, der sich W Trail nennt, planten wir sechs Tage ein, von 20. bis 26. Dezember. Hauptreisezeit. Sommerbeginn. Herrliches Wetter. Herrliche Winde. Oh, du liebes Patagonien, du hast mein Herz gewonnen!

Der Katamaran brachte uns von Eingang und Registrierung des Nationalparks, wo auch jeder Wanderer darauf hingewiesen wird, was zu beachten ist und womit man bestraft wird, wenn die Regeln nicht eingehalten werden, direkt zur Ranger Station bei der sich der Weg teilte - 11km zum Glacier Grey und 7,5km zum Camp Italiano. Am ersten Tag wollten wir diese 11km bewältigen. Um Gletscher zu sehen und eventuell auch Gletschereis in greifbarer Nähe zu haben. Nachdem wir uns teilweise kannten, teilweise schon seit Jahren nicht mehr gesehen haben, verliefen die ersten paar Kilometer sehr kommunikativ. Schnell stellte sich auch heraus, wer welches Tempo wandert und es bildeten sich kleinere Grüppchen. Immer wieder warteten wir zusammen, genossen die herrliche Aussicht, staunten über das patagonische Wetter und vor allem den Wind, der uns zu schaffen machte.

Die Wandertruppe. Vor dem Start. © Marcus Oania / @lervasaur
Der Blick in die Ferne. In die Schönheit. In die Stille. © Marcus Oania / @lervasaur

Tag Eins / 11km zum Glacier Grey

Schon an dieser ersten Wanderung stellte ich mit Genuss fest, dass ich noch nie Schöneres erlebt hatte. Das Naturschauspiel Patagonien hatte gerade erst begonnen und ich wusste - ohne pathologisch zu wirken - dass ich hier sterben könnte, ohne Reue. Der schönste Ort der Erde. Unberührt und so andächtig. Ich wusste, dass Weihnachten hier ein ganz besonderes Fest werden würde. Auch wenn ich es wortwörtlich übergehen werde.

"Alles wird sich vollkommen ergeben."
Mein Sprichwort, mein Motto, mein Credo für das Jahr 2017. Eine Reise wie Philosophie. So könnte ich Patagonien für mich auch noch beschreiben. Fragst du mich: "Muss man Patagonien gesehen haben? Muss ich Patagonien machen?" würde ich mit einem klaren Nein antworten. Wieso? Patagonien kannst du nicht machen. Und du musst es auch nicht gesehen haben. Patagonien ist keine Checkbox auf der nächsten Bucketliste. Patagonien wird nicht abgehakt (ist eine grundsätzliche Frage, ob jemals eine Stadt, ein Land, ein Gebiet abgehakt werden kann...) und schon gar nicht hast du alles gesehen. Patagonien verändert sich sekündlich. Wäre ich zwei Minunten später an der Ranger Station am Beginn des Wanderwegs angekommen, hätte ich den unbändigen Wind, die spitzen Regentropfen und das unwirsche Willkommen Patagoniens verpasst. Da hätte ich Sonne gesehen, gleissendes Licht und freundlich karge Bergspitzen. Es wäre anders gewesen. Patagonien ist ein Erlebnis, das viele Male in unterschiedlichsten Wetter- und Gefühlslagen erlebt werden kann.

Patagonien bereichert mein Leben nachhaltig.


Fragst du mich also ob du nach Patagonien reisen sollst, würde ich eindeutig mit Ja antworten. Denn eine Reise in die südlichste Spitze Südamerikas füllt Energietanks deines Körpers auf, geht an deine Grenzen und gibt Kraft, während sie dir entzogen wird. 

Ruhepol. Glacier Grey © Marcus Oania / @lervasaur
Gleich am ersten Wandertag bin ich angekommen. Bei mir. Dort. In meiner Gruppe. Das Gehen, diese fast ungewöhnliche Bewegung für viele von uns, kam mir vor wie die natürlichste Bewegung der Welt. Ein Fuß vor den anderen. Stehen bleiben. Genießen. Ausblicken. Ein Fuß vor den anderen. usw. Die Gedanken waren sehr schnell weg, woanders. Österreich war in weiter Ferne, nicht nur geographisch sondern vor allem gedanklich.

Tag Zwei / 18,5km zum Camp Italiano

Zeiteinteilung beim Gehen ist trotz der absoluten Gedankenfreiheit alles. Statt 3,5 Stunden gehen wir am ersten Tag nämlich 5 Stunden und kommen somit etwas in Verzug, sind müde und ausgelaugt. Wenn auch glücklich. Deshalb ist der Start für 9 Uhr morgens angesetzt. 16 Stunden Tageslicht nehmen etwas Stress weg, aber Fotostops legen wir eindeutig weniger ein als am Tag zuvor.

Gletscherseen, Waldlichtungen, karges Gestein, hochalpin anmutende Wanderwege, Pflanzenarten, die ich noch nie gesehen habe: Patagonien bestärkt mich weiter zu gehen.



Mein Osprey-Rucksack ist noch prall gefüllt mit Comfort Food: Couscous,  Pasta, Haferflocken und ganz viel Schokolade. Tagtäglich esse ich ein Snickers zum Frühstück - ein Festmahl, das ich im echten Leben der Realität noch nie gemacht habe. Schokolade zum Frühstück! Etwa 16kg wiegt meine Rückenbelastung, und ich freue mich darauf sie zu leeren und meine Schultern und Hüften zu entlasten. Allerdings habe ich mir die ständige Schwere ärger vorgestellt und bin überrascht wie leichtfüßig ich mich auch am zweiten Tag fortbewege.

Frisches Quellwasser wartet hinter jeder Kurve auf uns, ungefähr einmal pro Wanderstunde trifft ein Gletscherbach auf uns Wanderer. Eine Wohltat nicht Literweise Wasser mitschleppen zu müssen!


Traumhafte Ausblicke direkt vom Camp Italiano. Marcus Oania / @lervasaur

Im Camp Italiano treffe ich bekannte Gesichter aus dem ersten Camp. Die Gespräche sind patagonischer Natur: wie geht es deinen Füßen? Hast du Probleme bei diesem und jenen Auf- oder Abstieg? Bist du zufrieden mit der Ausrüstung, die du mitgebracht hast?

Tag Drei / Restday im Camp Italiano, 4km Mirador Frances, 5km Camp Frances


Danke an Marcus, der einen Restday eingeplant hat, wo nicht viel gegangen werden muss. Ich kann ausschlafen, soweit dies im (immer wieder ungemütlichen) Zelt und frostigen Bedingungen im Wald möglich ist. Nur mit einem Tagesrucksack bestückt, gehe ich durch Wälder, die japanisch anmuten, und der ständige Nieselregen macht die kurze Wanderung anstrengend. Ich entschließe mich, mit drei anderen, den Rückweg anzutreten, als wir nahe genug am Gletscher sind und den gekennzeichneten Aussichtspunkt erreicht haben. Drei von uns gehen weiter und sind somit ein Stück näher an der Vollendung des kompletten W Trails.

Auch für kaltes Bier wird gewandert. Weswegen wir nach einer kurzen Pause im Camp einen weiteren Weg in Angriff nehmen: im Camp Frances, so haben wir gehört, gibt es einen Minimarkt und WiFi und Bier. Morgen ist Weihnachtstag für die anderen. Für mich ist heute, 24.12., Weihnachten. Prost.

PS: Es stimmt. Es gibt wirklich (völlig überteuertes) Bier. 



Tag Vier / Freaking 21,5km nach Camp Torres

Mir tut immer noch nichts weh und der vergangene Restday hat meine Lebensgeister geweckt. Die komplette Truppe ist frohen Mutes und startet frühmorgens, denn: der längste Weg des Trails ist angebrochen. Halbmarathondistanz, denke ich mir, das schaffe ich mit links. Dass jedoch ausgetrocknete Flußbetten, bewaldete Hügel und steile Auf- wie Abstiege auf Geröll anders zu gehen sind als 21,5km Asphalt in der Ebene, hatte ich nicht bedacht. Psychologisch schwierig. Körperlich ok.

Wie gehe ich damit um, dass jeder ein anderes Tempo geht? 

Grundsätzlich ist das Gehen im eigenen Tempo das wichtigste. Nicht zu schnell, nicht zu langsam, Pausen einlegen, wenn notwendig, Essen, immer dann wenn Hunger aufkommt, viel Trinken. Allerdings bleibt eine Person der Gruppe zurück. Schon nach den ersten beiden Kilometern verlieren wir, der Rückstand vergrößert sich. Ich mache mir nach etwa vier Stunden Gehzeit ernsthaft Sorgen und die Gruppe teilt sich. Das alleinige Gehen ist gut zu bestreiten. Das Gehen ganz alleine ist eine Herausforderung. Selbst bei stundenlangem Schweigen nebeneinander. Denn die bloße Anwesenheit von jemand anderem hilft. Glücklicherweise ist nichts passiert und alle schaffen den Weg ins Camp vor Dunkelheit. 

Couscous mit Chorizo, Schokolade, Mannerschnitten und ein Schluck Whisky für mich am 25. Dezember. Weihnachtstag für uns alle.


Tag Fünf / ein paar Kilometerchen rauf, ein paar hinunter

Wecker um 3 Uhr früh. Wir wollen zum Aussichtspunkt bei Sonnenaufgang, den drei Torres, die auf jedem Souvenir rund um Punta Arenas und Puerto Natales zu finden sind. Ich wusste nicht genau worauf ich mich hier einlasse. Mit einem Snickers, Schlafsack, aufblasbarer Matratze und meinen Trekking Poles ausgestattet, wandere ich vom Camp weg. Licht kommt alleinig von der Kopflampe. So dunkel ist es. Aber die Vorfreude nimmt mir die Angst vor dem nächsten Schritt in unbekanntes Gelände. Nach etwa einer Stunde erreichen wir sie, die Torres. Kein Sonnenaufgang für uns. Aber nach ein paar Stunden im gemütlichen Schlafsack, der mich vor klirrender (0 Grad) Kälte und einem noch kälteren Wind (Hallo zurück, Patagonischer Luftzug) rettet, geht es wieder runter zum Camp.

Wir haben es zu den Torres geschafft! Freude!  © Marcus Oania / @lervasaur
Zum letzten Mal packe ich das Zelt ein, verstaue alle Utensilien im Rucksack, der nun schon etwas geschrumpft ist an Gewicht, und schultere ihn. Die letzten paar Kilometer warten auf mich. Teilweise steil bergauf, aber eine sehr lange Strecke, bis zum Hotel Las Torres, steil bergab. 

Danke, Torres del Paine für diese Erfahrung, diese Grenzen, dieses Erlebnis und diese intensive Energie. Ich werde diese Wanderung lange mit mir tragen und daraus schöpfen. 


Geschafft. Torres del Paine. You gave me some pain... but I loved it! © Marcus Oania / @lervasaur

Gut zu wissen, wenn du diesen Hike auch machen möchtest: 

Du MUSST alle Campsites vorab reservieren.
Plane viel Zeit und Geduld in die Vorbereitung und Anreise.
Versuche nicht zu stressen - nicht davor und währenddessen auch nicht.
Gehe viel zu Fuss.
Versuche Gepäck zu tragen, bevor du erstmals deinen Rucksack schulterst und merkst, wie sehr ihr zwei zusammenwachsen werdet.
Gehe dein Tempo! Immer!

Besuche Marcus Oanias Webseite für fantastische Fotos und großartige Videos, hiermit ein Danke an ihn für die fotografische Begleitung. Die Travel Pins waren übrigens auch schon da genauso wie Elena von Creativelena.






2 Kommentare:

  1. Oh wie cool! Ich war letzte Woche auch in Torres del Peine und fand es super schön! Allerdings habe ich den W-Trail nicht gemacht, sondern nur Tageswanderungen. Da scheine ich doch einiges verpasst zu haben, was aber auch zu erwarten war, wenn man nicht wirklich eintaucht in die Natur. Trotzdem ein tolles Erlebnis :)

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    1. Hey kuno, Danke für die Rückmeldung! Da haben wir uns grade verpasst :) wie hat es dir gefallen und von wo bist du gestartet?
      Ja, das Eintauchen in dieses Naturschauspiel funktioniert glaube ich am besten über mehrere Tagen hinweg am besten. Und wenn Zelt und Schlafsack nicht komfortabel sind, gibt es die Gute Möglichkeit in Refugios zu schlafen :) Lg Lucia

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