People's Park mit fantastischer Bepflanzung, viel Wasser und natürlich: einem Teehaus! © diekremserin on the go |
Einmal Kultur, bitte!
Zugegeben, es fiel mir nicht leicht auf meiner (sehr kurzen, aber intensiven) Reise nach Shanghai einen objektiven Blick auf chinesische Traditionen und vor allem auf chinesische Kultur zu erhalten. Nie war ich mir sicher, ob Bauten historisch gewachsen oder nachgebaut wurden, ob Kunsthandwerk ehrlich entstanden oder in Massen produziert worden ist. Anders im MoCa - Museum of Contemporary Art im People's Park, mit einem vorgelagerten Fitnessplatz, wo sich meist ältere Menschen zum Tai Chi treffen.
Das MoCa zeigt eine interpretative Ausstellung von fünfzehn zeitgenössischen Künstlerinnen und Künstlern aus China, die sich mit den jüngsten Entwicklungen der Gesellschaft auf emotionale und kritische Weise auseinandersetzen. Sie versuchen mit ihren Arbeiten Spuren in die chinesische Tradition und Kultur zu finden. Shanshui bedeutet so viel wie Berge und Wasser, also das traditionell prägende, chinesische Landschaftsbild.
The ultimate goal of this exhibition is for the works to move beyond the restrictive enclosures of museums and find themselves on display within schools and communities as part of the "Art Momentum" project, which aims to bring contemporary art to people.
Gleich zu Beginn steigt die Ausstellung ein in ein kritischen Betrachten von der heutigen Gesellschaft und ihrem Blick auf die Vergangenheit: Xu Bings Background Story spiegelt wider, wie die Metapher des Land des Lächelns funktioniert. Nach außen hin wirkt die Installation wie eine wunderbare, beleuchtete Landschaft in Tusche, die Berge, Bäume, Pavillons und kleine Boote sowie pittoreske Wasserläufe zeigt. Auf der Hinterseite, dort wo sich das Leben abspielt, zeigt der Künstler eine Ansammlung von Materialien, die eindeutig aus dem Müll arrangiert worden sind: Plastiksäcke, alte Kartonagen, teilweise Backsteine, mit Klebeband an die Hinterseite des wunderbaren Gemäldes geklebt. Gemälde? Ich musste mehrmals hin und her gehen, und mich vergewissern: nein, das Gemälde ist eine Illusion, die uns Xu Bing vorspielt, die wir glauben wollen, aber die Hinterseite - Background Story - erzählt die realere Geschichte. Mit der Anordnung des Restmülls auf der Rückseite der Glaswand, die beleuchtet ist, arrangiert der Künstler Schatten für Schatten so, dass sich vorne di wunderbare Landschaft ergibt. Das Milchglas kommt auch als technischer Filter zum Einsatz, mit dem Xu Bing bestimmte Schattierungen hervorheben oder gar verschwinden lassen kann. Von den dreidimensionalen Objekten in eine zweidimensionale Landschaft verwandelt, gibt die kritische Installation Einblick in eine Möglichkeit die chinesische Gesellschaft als künstlich zu betrachten. Der Schein lebt also.
Eine weitere faszinierende Arbeit, die Ban Lei und Xu Cong gemeinsam entwickelten, beinhaltet eine interaktive Möglichkeit auf eine Rauminstallation einzuwirken. Ich als Besucherin war ganz begeistert: ich stand in einem dunklen Raum, eine Projektion an der Längswand, weiß mit schwarzen Partikeln. Durch Bewegung meiner Arme und meines gesamten Körpers durch den Raum in unterschiedlicher Geschwindigkeit reagiert die generierte Installation (Immaterial perception). Die projizierten Stäbchen und Punkte bewegen sich in einem dem angemessenen Tempo hin und her, gestalten neue Formen und Muster. Ban Lei, der sich als Producer für den Sound verantwortlich zeigt, experimentierte in seiner Laufbahn (geb. 1990) bereits mit klassischer Musik, deren Grenzen er auslotete und fand im Umgang mit Synthesizer einen technischen Companion, der die Regeln der klassischen Musik bricht. Durch seine Musik erhält die Installation eine Ebene der Erzählung, die durch wörtliche wie schriftliche Sprache nicht erzählt werden könnte. Ein echtes Erlebnis! Ich wollte gar nicht mehr raus aus dem Raum. Aber da waren ja noch andere Besucherinnen...
Eine dritte Künstlerin möchte ich noch hervorheben, die mir in der Shanshui Ausstellung besonders gefallen hat. Im Ausstellungsheft beschreibt Leah Lihua Wong selbst, wie sie die papierenen Schriftzeichen, einem Vorhang ähnlich angefertigt und aufgefädelt hat und woher diese Liebe zum Scherenschnitt kommt. Ihre Installation Illuminating nimmt Bezug auf ein Gedicht des Poeten Li Bai der Tang-Dynastie (Regentschaft von 618-907), der den Einfluss des Mondlichts auf die Weltbevölkerung als emotionale Verbindung durch die Jahrhunderte beschreibt. In ihrer Installation verleiht die Künstlerin dem Gedicht unendliche Perspektiven - die Betrachterinnen und Betrachter können uneingeschränkt assoziieren und imaginieren was hinter den ausgeschnittenen Zeichen steht, die nicht mehr dechiffriert werden können.
I loved Chinese paper cuts when I was a child. I want to create new perspectives with paper cutting, and I want to share the beauty of poetry but without the words being recognizable. the words take up space within the installation that transcends the characters to create a sense of new content that is visually abstract, universal and timeless.
Leah Lihua Wong, Illuminating - Ausschnitt © diekremserin on the go |
ShanShui Within
Museum of Contemporary Art, Shanghai
September 3 - November 20, 2016
Gate 7, People's Park
231 West Nanjing Road, Shanghai, China
Tipp: MoCa Pavillon am Eingang 7 People's Park
Während meines Aufenthalts in Shanghai zeigte das MoCa im ausgelagerten Pavillon das Fortune Teller Projekt von Fabio Lattanzi Antinori. Die Sound-Installation des international tätigen Künstlers, der in London lebt und arbeitet, darf angegriffen werden: interaktive Oberflächen, die wie ein Paravent angeordnet im Raum stehen, reagieren auf die Berührung vom Publikum mit einem gesungenen Ton in unterschiedlicher Intensität und Tonhöhe. Die Töne interagieren auch untereinander und reagieren aufeinander - ganz durchschaut habe ich die technischen und interaktiven Möglichkeiten der Installation nicht.
Besonders spannend finde ich aber die Intention der Installation auf den globalen Finanzmarkt zu reagieren, deren Algorithmen der Künstler als realen Ausgangspunkt für ein extrem fragiles Notensystem nimmt. Auch in anderen Arbeiten fokussiert er sich auf global gültige Systeme, die unsichtbar sind und als irregulär und zufällig übersetzt werden. Systemkritik!