wanderlust = n, [won-der-luhst], a strong innate desire to rove or travel about

24.09.2014

Kaffeehausgespräche VI

Jo Aichinger 

im ständigen Austausch

Da überraschte ich den künstlerischen Leiter von IMAGO DEI, von Glatt&Verkehrt und dessen Erweiterung HerbstZeitlos: schon 10 Minuten vor der vereinbarten Zeit hatte ich meinen Espresso Macchiato geleert und saß gemütlich in der Sonne. Der Herbst in Krems lässt sich nun nicht mehr verleugnen. "Du bist ja schon da! Ich dachte ich hätte noch ein paar Minuten." - Jo Aichinger bestellt Apfelsaft gespritzt und gesellt sich zu mir. "Ich bin immer zu früh.", ich erinnere mich, dass ich entschuldigend gegrinst habe. Als Ausrede schiebe ich mein Halbmarathon-Projekt vor, das ich am Tag zuvor geschafft hatte. Die Radfahrerei zum Campus war eine erste sportliche Herausforderung. Jo Aichinger nimmt das Thema auf: "Laufen gehe ich nicht gerne. Aber ich setze mich aufs Mountainbike und fahre einfach drauflos." Er deutet Richtung Egelseer Straße hin zur Donauwarte und überall dorthin, wo auf abenteuerlustige Radfahrer die nächste Herausforderung wartet.

Die nächste große Herausforderung hat sich Jo Aichinger mit dem HerbstZeitlos-Festival selbst geschaffen. Glatt & Verkehrt etablierte sich in den letzten 2 Jahrzehnten zu einem der wichtigsten Musikfestivals in Niederösterreich. Weltmusik - Musik aus aller Welt - zeitgenössisch wie traditionell werden im Rahmen des Festivals präsentiert. Unterschiedliche Musikanten treffen auf einander, machen miteinander Musik und treten zu bestimmten Themenschwerpunkten auf. Besonders stolz ist Jo Aichinger auf den iranischen Künstler Alireza Mollahosseini, der als Artist in Residence Krems auch auf eine andere Art erlebt hat, wie jene Künstler und Künstlerinnen, die nur für einen Auftritt hierher kommen.



Bei dem AIR - Artist in Residence - Programm geht es Jo Aichinger vorwiegend um den Austausch zwischen internationalen und niederösterreichischen Musikerinnen und Musiker. "Exchange! Das ist das wichtige Wort im Bezug auf Artist in Residence. Dabei ist das Musik-Atelier sehr schwer zu besetzen, denn Musiker selbst sind dauernd auf Tournee und unterwegs. Sie leben vom Reisen. Aber Komponisten und Klangkünstler begeistern wir für das Format." Auch für Imago Dei verbringen Musiker und Musikerinnen aus aller Welt einige Wochen im Musikatelier, wo an neuen Kompositionen gebastelt oder an einer neuen Technik gefeilt wird. Auf die Frage, woher Jo Aichinger die musikbegabten Menschen nimmt, meint er - etwas überrascht: "25 Jahre sind's schon! Lucia, die Szene ist klein, jeder kennt jeden. Ich höre mich um, hole mir Empfehlungen ein und freue mich auf jene, die ich noch nicht kenne." Vom Schweizer Klangkünstler Zimoun schwärmt er mir vor. Besonders spannend findet er in diesem Fall die Schnittstelle, die die Musik einnimmt: "Der Klang ist Skulptur. Das geht in Richtung Bildende Kunst." Zimouns Klangkunst verwirrt unser Gehör. Kartons, die von der Decke hängend aneinander reiben oder Papierkügelchen, die wie brausende Wogen an den Fenstern entlang geblasen werden. Gleichzeitig stellt er Raum, Ästhetik der Skulptur und den Klang in eine Linie.

© Alireza Mollahosseini


Raum spielt bei HerbstZeitlos eine große Rolle. In der säkularisierten Minoritenkirche treten Musiker und Musikerinnen aus aller Welt zusammen. Pathetisch, ein ganz besonderer Raum, den es sonst nirgendwo gibt. Dabei hat die Minoritenkirche einen unglaublichen, architektonischen Vorteil für Musik aller Art: es wird kein Flatterecho produziert. Die Kirche animiert die Menschen zuzuhören und Konzepte zu vermitteln. "Worum es mir geht? Die Menschen sollen sich von der Musik nicht nur unterhalten lassen. Bewusst zuhören, nicht kritiklos hinnehmen." Jo Aichinger erzählt von den Verbindungen zwischen den ethnischen Kreisen rund um den Globus. Wir sollten uns alle fragen: "Warum ist das so? Woher kommen diese Ähnlichkeiten?" Besonders der Orient und die (Musik-)Kultur im Nahen sowie Fernen Osten und der Islam stehen im Fokus von Jo Aichinger: "Ich will anregen Bewusstsein zu schaffen, dass wir uns alle Gedanken machen sollen über die Religion, zum Beispiel. Außerdem sehe ich es als Bereicherung was es im orientalischen Raum zu entdecken gibt." Der große Unterschied liegt im Zugang zur Musik: hier in Mitteleuropa zahlen wir viel Geld für Musikschulen, den direkten Zugang zum Musikalischen und zu Rhythmen scheinen wir erst durch das verschulte System zu erlernen. Jo Aichinger empfiehlt nach Italien zu schauen, wo in Apulien einmal jährlich "La Notte della Taranta" statt. Kinder identifizieren sich mit der Musik, 140.000 Menschen pilgern dorthin und machen das Festival zum Inbegriff, was Musik sozial und gesellschaftspolitisch bedeutet.

Mit Alireza Mollahosseini holt Jo Aichinger eine Percussion-Größe aus der persischen Tradition auf die Bühne in Krems. Er ist nicht nur Musiker, sondern auch Philosoph und Autor. Mit ihm gelingt es HerbstZeitlos sich zu positionieren und wie Jo Aichinger das möchte: "ständig zu verändern und ständig zu experimentieren. Ich versuche neue Kulturen, die noch nichts voneinander gehört haben zusammen zu bringen." 

HerbstZeitlos zeigt am Donnerstag 25. September, ab 20:00 Uhr | Wirtshaus Salzstadl | Krems-Stein: Alireza Mollahosseini Solo: The Voice of the Earth (Iran) und Druk Revival (Bhutan)



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