Der Weg ist das Ziel.Aussagen wie diese überzeugen keine Nicht-Wanderin, die ich bis vor Kurzem zu 100% verkörperte. Noch letztes Jahr versuche ich eine kleine Liste zu gestalten, die aufzeigte wie mich fünf Dinge zum Wandern bringen würden.
Ausschlaggebend für meinen Versuch mich nun tatsächlich auf den Weg zu machen, war der Besuch des Ostermarktes im Palais Ferstel vor einigen Monaten. Gepackt mit Menschen, unüberschaubar und gar nicht meine Veranstaltung (Zielgruppe: +60), entdeckte ich einen Auftritt des Naturpark Ötscher mit der im letzten Jahr gegründeten Marke Ötscher:Reich. Als Austragungsort der Niederösterreichischen Landesausstellung erhalten Regionen wie das südliche Niederösterreich und Voralpenland die Chance ihre Produkte und vor allem ihre wunderbare Landschaft aufzuwerten. Im Gespräch mit Walter Burger stellte sich heraus, dass die angebotenen Lebensmittel – vom Bier, über Honig hin zu Würsten – während der Landesausstellung hergestellt wurden.
"Es wurde entschieden, dass die Landschaft als Ausstellungsfläche dienen soll. Man geht hier weg - in die Landschaft hinein und besucht zwölf Stationen."
Slow Traveling par excellence
Nun stehe ich also hier: Bahnsteig Wienerbruck. Angereist bin ich nachhaltig mit dem Zug. Die Himmelstreppe oder der Ötscherbär, wie die Bahnen von St. Pölten bis Mariazell (schon im 19. Jahrhundert gebaut und 1910 schnell elektrifiziert) liebevoll genannt werden, sind voll gepackt mit Pilgern, Familien und Wanderlustigen. In über zwei Stunden Fahrzeit von Wien komme ich runter von einem sonst sehr hohen Stresslevel, dem ich standhalte. Einatmen, ausatmen.In Wienerbruck hat sich die Ötscher-Basis niedergelassen, denn von hier lassen sich wunderbar mehrere Tagesausflüge beginnen. Neben einem neu ausgebaggerten, sandigen Stausee (zur Stromgewinnung), der im Sommer zur Abkühlung nach oder vor der Wanderung einlädt, beherbergt die Basis einen Lehrkräutergarten, Platz zum Campieren (inkl. Sanitäranlagen), ein kleines Geschäft mit Wanderutensilien und Bergführern. Bald soll statt dem nicht benutzbaren Abenteuerspielplatz ein natürlich gewachsener Entdeckerpfad für Kids und Familien entstehen. Das erzählt mir Claudia, die sich mit mir und meiner Wanderbegleitung (Wandere niemals allein!) an der Basis trifft.
Etappe 1: Geschichte und Natur
„Ich schlage vor wir gehen gemeinsam bis zum Kaiserthron und ich erzähle euch ein bisschen etwas über die Gegend hier.“Schnurstracks peilt Claudia den, mit einfallsreichen Tafeln beschrifteten, Weg Richtung Ötschergräben an, der über eine kleine asphaltierte Straße leicht zu erreichen ist. Immer wieder bleiben wir am Wegesrand stehen, schauen und horchen in die Natur hinein. „Kennt ihr diese Pflanze?“ – Kopfschütteln, die Botanik gehört nicht zu meinen Spezialgebieten – „Beinwell! Die Blätter und Wurzeln enthalten Wirkstoffe, der in Salben und Cremen verarbeitet entzündungs- und wundhemmend wirkt."
Die nächste Aktion, die an der Ötscher-Basis stattfindet, verrät Claudia, die auch Obfrau des Kulturvereins Annaberg ist, ist ein Schaumähen am 18. Juni in Zusammenarbeit mit dem Kulturverein Annaberg.
Vorbei an Schwarzem Holler - wir denken dabei schon ans Essen und Trinken - der in jeden Landgarten gehört, begutachten wir auch noch andere Pflänzchen, von denen ich noch nie zuvor gehört habe.
An der Gabelung tummeln sich Touristen, die ihren Weg bald wieder zurück in den Autobus antreten – falsches Schuhwerk inklusive. Auch ich bin noch nicht richtig ausgestattet, die Naturvermittlerin Claudia winkt mich dennoch durch: „Gestützte Knöchel und eine feste Sohle mit gutem Profil sind beim Wandern das Um und Auf.“ Ich habe mit meinen normalen Sportschuhen eine Ausnahmegenehmigung erhalten. Während sich viele begeisterte Wanderer – von Familien mit Kindern über junge Pärchen mit Hund sowie eindeutig geschulte Bergfexe – in die Ötschergräben drängen (Nein, allein bist du hier echt nicht!), spazieren wir mit Claudia an ihnen vorbei zum Kaiserthron.
Übrigens Ötscher kommt aus dem Slawischen und heißt Vater - also der Vaterberg, der dem Mutterberg, der Gemeindealpe gegenübersteht.
Was macht bitte eine Naturvermittlerin?
Die Frage drängt sich auf, da ich selbst in der Kunstvermittlung tätig, oft mit fragenden Augen konfrontiert werde und schließlich mit einem einzigen Wort aufklären kann, was ich tue: "Ach, du machst die Führungen!" Claudia und viele andere BewohnerInnen der Umgebung wurden ab 2014, ein Jahr vor der Landesausstellung, beauftragt sich genau mit ihrer Heimat zu beschäftigen, besuchten Kurse und gingen hinein in die Natur, wo sie Flora und Fauna neu- und wiederentdeckten. Dieses angeeignete Wissen geben sie nun an interessierte BesucherInnen weiter. Ursprünglich Historikerin bemerke ich durch die Erzählungen die starke Verbundenheit zwischen den Gegebenheiten der Natur und geschichtlichen Ereignissen, von denen Claudia erzählt."Für die Landesausstellung schulte man Leute von vor Ort, die sich in Forst- und Jagdwirtschaft schon durch ihren Beruf auskannten, oder so wie ich aus der Geschichte kommen. Oder von den Pflanzen. Somit ist jede Führung, die jemand macht anders. Natürlich sind gewisse Dinge Fixpunkte - aber sonst hat jeder das eigene eingebracht."
Claudia erzählt auf unserem Weg nach oben, über Wiesen und Weiden - die noch nicht gemäht sind und wunderschöne, blühende Pflanzen beheimaten - von den Pilgerfahrten in der Ära Maria Theresia in Zeiten der Gegenreformation. Kannst du dir die Ladies in langen Kleidern vorstellen, wie sie hier mit Sonnenschirmen und einem Tross von tausenden Hofangestellten angereist sind... ein skurriles Bild! Herrliche Beschreibungen gibt es zum Beispiel von Esterhazy, der von ca. 11.000 Menschen spricht, die die k.u.k Pilgerfahrten begleiteten.
Story from the past...
Mitte des 18. Jahrhunderts ließen sich Holzknechte aus der Ramsau und Dachsteingegend im Auftrag des Stiftes Lilienfeld hier nieder, um als Spezialisten für den hohen Holzverbrauch hier zu arbeiten. Die steirischen Holzexperten waren zwar protestantisch, aber wurden gebraucht, und lebten ihren Glauben (Krypto-Protestantismus) im Geheimen und verbotener Weise aus. Sie durften zum Beispiel auch nicht zeigen, dass sie lesen konnten, weil sie das als Protestanten outete. 1781 kam - zu aller Überraschung - das Toleranz-Patent durch Josef II. Während das unter Maria Theresia noch undenkbar gewesen wäre - unter der Kaiserin wurden die Heiligen Berge als Stationen für die Pilger geschaffen (Annaberg, Joachimsberg, Josefsberg,...)Blick vom Kaiserthron runter in die Gräben. |
Unten in den Gräben! Jetzt geht's weiter, Richtung Schutzhaus. |
Alle Zitate von Claudia Kubelka, Naturvermittlerin.
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